Ich hab dich ganz doll lieb
- für immer und ewig!
„In dem Land, wo Karin gerade
wohnt...“ - „Schweiz!“ - “Ja, aber da wird eine Sprache gesprochen...“ -
„französisch“ - „...die eigentlich zu einem anderen Land gehört...“ -
„Frankreich!“. Ich sitze mit meinen Schulfreunden Roman, Chris und Nadine
zusammen und spiele Tabu. Auch wenn dieser Abend wie das Treffen einiger Freunde
aussieht, ist es doch in Wahrheit das Treffen vieler ehemaliger Freunde. Nichts
ist mehr wie früher – und dabei ist „früher“ gerade mal ein halbes Jahr alt.
Nichts kann uns trennen, wir
halten zusammen, für immer. Vor dem Abi waren wir uns dem alle sicher.
„Jahrhundertklasse“ wurden wir von unserem Geschichtslehrer getauft. Ein toller
Zusammenhalt. Und viele Freundschaften.
Freundschaften, die während dem Abi noch gestärkt wurden. Zusammen durch eine
der härtesten Zeiten unseres bisherigen Lebens. Gemeinsam kämpfen, gemeinsam
Niederlagen hinnehmen und das eine gemeinsame Ziel erreichen. Und alle haben das
Ziel erreicht. Danach lagen wir uns glücklich, und nicht ganz nüchtern, in den
Armen und schworen uns die Freundschaft bis in alle Ewigkeit. Aber diese
Ewigkeit dauerte genau zwei Wochen. Da war nämlich der Abiball. Wir lachten,
heulten und trällerten gemeinsam unser Abschiedslied „Geile Zeit“. Ohne
Textkenntnisse, dafür mit Leidenschaft. Jeder, der die anschließende Party
verließ, wurde mit Tränen verabschiedet. Und irgendwie war scheinbar nicht nur
mir schon in diesem Moment klar: Manche dieser Leute werde ich wohl nie wieder
sehen.

Ich war die Erste, die das Land
verließ. Aber man muss nicht unbedingt Deutschland verlassen, um aus dem
Blickfeld der Anderen zu rücken. Göppingen, Passau, München und Stuttgart sind
in dem Falle weit genug. Vielleicht ist es aber nicht die räumliche Trennung,
die unsere Leben so weit auseinander gebracht hat. „Was zerbricht, sind
möglicherweise die Beziehungen, die nur aufrechterhalten wurden, weil man sich
im gemeinsamen Kontext der Schule nahe war“, sagt Dr. Ann Elisabeth Auhagen von
der Freien Universität Berlin. Es geht also jetzt jeder einfach seinen eigenen
Weg, ohne gemeinsames Ziel.
Der amerikanische Soziologen
Eugene R. Litwak geht davon aus, dass wir je nach Lebensphase und Umgebung
kurz-, mittel- und langfristige Freundschaften haben. Auf diese Theorie greift
auch Dr. Auhagen zurück: „Ändert sich das Leben einschneidend, bleiben oft die
kurzfristigen und mittelfristigen Freundschaften auf der Strecke. Sie haben
ihren Zweck, uns in einer bestimmten Lebensphase zu begleiten, erfüllt und
werden durch neue auf den neuen Lebensabschnitt abgestimmte Freundschaften
ersetzt.“
„Hi. Hier in Australien hat es
gerade 40 Grad. Wie ist es bei dir? Wo bist du noch mal?“ Ich scheine nicht die
Einzige zu sein, die den Drang verspürt, sich bei den Anderen zu melden. Aber zu
sagen haben wir uns eigentlich nichts mehr. Weil jetzt jeder sein eigenes Leben
lebt. Und das Interesse am Leben des Anderen lässt ebenso nach wie die
seitenlangen Briefe oder Emails, die wir uns noch vor einem halben Jahr
geschickt haben. „Man möchte sein Leben auf die Zukunft richten, die Schule und
die MitschülerInnen zählt man zur Vergangenheit“, begründet Dr. Auhagen das
Verhalten meines ehemaligen mittelfristigen Freundes.

Zu Weihnachten habe
ich mit meinen „Gelegenheitsfreunden“ ein Klassentreffen organisiert. Es saßen
wieder die Selben zusammen, wie in der Schulzeit. Neue Pläne wurden geschmiedet.
Jeder muss jeden besuchen kommen. Mal wieder zusammen was Trinken gehen. Die
Hoffnung entfachte, dass es doch wieder wird wie früher. Doch schon eine Woche
später wurden wir alle hart in die Realität zurückgeholt. Niemand wird mich
besuchen kommen. Genauso wenig haben wir es geschafft, uns wirklich an diesem
einen Tag zu treffen, wie auf dem Klassentreffen besprochen. Auch die anderen
haben sich nicht getroffen.
Die Euphorie und
Wiedersehensfreude ist groß. Aber nicht groß genug um die weit
auseinanderreichenden Wege zu verbinden.
Meine beste Freundin kenne ich
übrigens nicht durch die Schule. Wir sind immer noch befreundet und besuchen uns
auch jetzt mit 1500 km Entfernung. „In diesen Freundschaften gibt es vermutlich
noch mehr als die Gemeinsamkeit
der Schule. Man kann tolerant
sein mit Anderen und sich für sie und ihre neue Umgebung interessieren, auch
wenn man selbst andere Schwerpunkte setzt. Was Freundschaft bildet und
zusammenhält, ist unter anderem ja auch Zuneigung“, findet Dr. Auhagen die
passenden Schlussworte.
Miriam Sarah Keilbach - 20 Jahre
Die Fotos:
© Icestorm Entertainment GmbH
© DEFA Stiftung
Die
Fotos entstammen dem DEFA-Film "Sieben Sommersprossen" von 1978
"Ich liebe Victor" von 1984
"Gritta von Rattenzuhausbeiuns" von 1985
Text:
©
www.infothek-liebe.de
 |